Gottfried Thore Drywa

Rekonstruktion der historischen
Sauer-Orgel des Goethe-Gymnasiums Berlin



Die Sauer-Orgel um 1910


Die Sauer-Orgel um 1924

Seit unsere Schulorgel 1904 in die damalige Viktoria-Louise Schule vom Hoforgelbaumeister Wilhelm Sauer gebaut wurde, der zur selben Zeit auch die berühmte Orgel des Berliner Doms baute, hat sie eine lange Geschichte hinter sich gebracht. An vielen historischen Zeitungsartikeln lässt sich nachverfolgen welche viel gerühmten Konzerte bis 1938 in dieser Aula stattfanden. Schließlich zog sogar das damalige Konservatorium der Hauptstadt in das Gebäude des heutigen Goethe-Gymnasiums. Hier probten zeitweilig die Berliner Philharmoniker und junge Studenten und später namhafte Interpreten. Den zweiten Weltkrieg überstand das Gebäude und die Orgel nahezu unversehrt und so ist heute die Sauer-Orgel des Goethe-Gymnasiums die letzte, historische, noch spielbare Schulorgel Berlins.

Heute hat die Sauer-Orgel allein schon auf Grund ihres über 100jährigen Alters viele technische Mängel und es besteht die Gefahr, dass das Instrument, wie zuletzt zwischen 2004 und 2007 unspielbar wird. Das hängt maßgeblich damit zusammen, dass Reparaturen bisher abhängig von den Mitteln mehr notdürftig als nachhaltig durchgeführt werden konnten und so ein grundlegendes Konzept für eine dauerhafte Instandsetzung ausblieb.

Es ist unser Anliegen, eine werktreue historische Wiederherstellung des Instrumentes in den Urzustand von 1904 mit der erforderlichen Nachhaltigkeit anzustreben. Das bedeutet einerseits eine Instandsetzung

  • der technischen Anlage
  • der Wiederherstellung der Originaldisposition,
  • der Umstellung und stilgerechten Rekonstruktion der pneumatischen Traktur,
  • sowie vor allem auch der Rekonstruktion des alten Gehäuses mit originalen Prospektpfeifenlängen unter Wiederverwendung des originalen Grundkörpers.

Es ist ein Mamutprojekt, das vielen guten Willen, Einsatz, Leidenschaft und Mut erfordern und sicherlich auch mehrere Jahre beanspruchen wird. Ein Weg an dessen Ende, so hoffen wir, das Instrument nicht nur wieder in seiner alten äußeren wie auch klanglichen Schönheit erstrahlen wird, sondern auch mit Bestand und Nachhaltigkeit kommenden Generationen zur musikalischen Erziehung und Inspiration zur Verfügung bleibt.

  

Goethe-Gymnasium Berlin (damals Viktoria-Louisen-Schule) um 1910               Vergleich der Orgel um 1910 und heute


  

Aula des Goethe-Gymnasiums heute und um 1985


Originaldisposition (1904)Heutige Disposition (2020)

Manual I (C-f''')
Principal 8'
Bourdon 8'
Gemshorn 8'
Octave 4'
Mixtur III


Manual II (C-f''')
Spitzflöte 8'
Lieblichgedackt 8'
Aeoline 8'
Vox céleste 8'
Vox humana 8'

Pedal (C-d')
Subbaß 16'
Violoncello 8'

Manual I (C-f''')
Principal 8' (original)
Bourdon 8' (original)
Octave 4' (original)
Principal 2' (1954)
Mixtur III (unklarer Altbestand)


Manual II (C-f''')
Spitzflöte 8' (original)
Lieblichgedackt 8' (original)
Feinflöte 4' (unklarer Altbestand)
Principal 2' (1954)
Quinte 1 1/3' (1954)

Pedal (C-d')
Subbaß 16' (original)
Violoncello 8' (original)

Der historische Pfeifenbestand der
Sauer-Orgel des Goethe-Gymnasiums Berlin

Dabei bietet die Sauer-Orgel des Goethe-Gymnasiums noch einen großen historischen Pfeifenbestand, der eine stilgetreue Restaurierung sinnvoll erscheinen lässt. Acht der zwölf Register sind beinahe original erhalten, wenn gleich viele Originalpfeifen zweckentfremdet und in andere Register eingebaut wurden. Darüber hinaus enthält die Orgel eine ganze Reihe historischer Fremdpfeifen vor 1945, die bisher noch nicht eindeutig der Originaldisposition zugeordnet werden konnten.

Das derzeit vorhandene Pfeifenwerk ist in mindestens vier Gruppen einzuteilen.
1. Originalbestand: Principal 8', Octave 4', Spitzflöte 8', Gedackt 8' sowie Subbaß 16' und Violon 8'
2. Veränderter Originalbestand: Bordun 8' und Feinflöte 4'
(Im Bordun 8' tragen viele Pfeifen die Aufschrift Bordun 16', in der Feinflöte 4' wurden Pfeifen von Voix celeste 8' verarbeitet)
3. Neubaupfeifen (50iger Jahre):       Gemshorn 2', Principal 2', Quinte 1 1/3'
4. Historische Fremdpfeifen: aus historischem Altbestand meist als Ergänzung im Diskantbereich der originalen Register

Wiederherstellung des historischen Gehäuses

Die Entfernung des historischen Jugendstilgehäuses der Sauer-Orgel erscheint heute rätselhaft und das nicht nur aus der Perspektive des Denkmalschutzes. Aus einem Gutachten von 1954 wissen wir heute, dass das Gehäuse zu diesem Zeitpunkt noch stand und bei dessen Entfernung auch eher Stilfragen entscheidend waren, als statische Notwendigkeit.

So heißt es in dem Gutachten vom 18.10.1956: "Nachträglich zu meinem gestrigen Gutachten möchte ich noch zu überlegen geben, da sowieso die Absicht besteht, die Orgelseite der Aula mit einem 80cm hohen Podest zu versehen, ob nicht aus Raumersparnisgründen eine Versetzung des Spieltisches vorgenommen werden kann. Hierdurch würden die jetzt nur platzeinnehmenden Treppenaufgänge zu diesem fortfallen. Wieweit bei der Umgestaltung der Aula das im Jugendstil gehaltene Orgelgehäuse mit seinen beiden Aussenfeldern seine jetzige Form behält, muss weiteren Überlegungen anheim gestellt werden."

Das aktuelle Gehäuse, welches 1957 aufgestellt wurde, hat heute erhebliche Schäden und war darüber hinaus schon damals mit minderen Materialien ausgeführt worden. Dazu kommt, dass die Umsetzung des Spieltisches 1993 ein Missverhältnis von altem und neuem Holz erzeugte und zudem die Stelle, wo sich der alte Spieltisch befand notdürftig verschlossen wurde. Ein Gutachten von 2005 resümiert: "Dennoch: dem Gehäuse seine alte Form zumindest ansatzweise zurück zu bringen, wäre eine Frage der Identität dieser Orgel. Sie, die Identität, ist in jeder Hinsicht, klanglich wie optisch, verloren gegangen."

Es wird daher eines der ganz wesentlichen Aufgaben sein, das historische Gehäuse soweit rekonstruierbar wiederherzustellen.
                   

Spieltischposition und Treppenaufgänge

Wie im Gutachten von 1957 vorgeschlagen wurde ein ca. 80cm hohes Podest um die Orgel gebaut, das historische Gehäuse, die Kanzel und die Treppenaufgänge zum Spieltisch entfernt. Der neue Spieltisch wurde auf halber Höhe zwischen Originalposition und Boden aufgestellt, wie hier auf einem Foto von 1985 zu sehen (Quelle: Goethe-Jahrbuch, Jg 1985, S. 14).
Im Jahr 1993 wurde der Spieltisch nach Entfernung des Podestes schlussendlich auf den Boden versetzt und die entstandene Lücke im Gehäuse verschlossen.


Ansicht der historischen Aula von der Kanzel der Orgel aus gesehen (Quelle: Helmut Pieper, Historisches Portrait. Eine Berliner Schulgeschichte (2007), S. 47).

Originale Prospektpfeifenlängen

Wie sich an den beiden historischen Abbildungen im Vergleich zum heutigen Zustand ersehen lässt, stimmten die Prospektpfeifen der Orgel schon 1924 nicht mehr mit dem Originalzustand überein. Hier links die Orgel um 1910, in der Mitte 2020 und rechts um 1924. Sehr wahrscheinlich wurden die originalen Prospektpfeifen während des Ersten Weltkrieges abgegeben und bis 1924 erneuert.


Nach einem Gutachten von 2007 sind die aktuellen Prospektpfeifen älter als 70 Jahre. Außerdem lässt die Fotografie erkennen, dass die Anzahl der Pfeifen von 21 auf 19 reduziert wurde. Auch heute hat die Orgel 19 Prospektpfeifen. Es ist nach aktuellem Kenntnisstand unklar, wie es zu diesen Veränderungen kam. Der Originalzustand bleibt insofern der anzustrebende Maßstab.

Das Hauptwerk-Sample-Set der Sauer-Orgel

Die Sauer-Orgel digital!

Im Oktober 2020 wurde ein digitales Hauptwerk Sampleset der Sauer-Orgel des Goethe-Gymnasiums erstellt. Dazu wurde jeder einzelne Ton jedes einzelnen Registers einzeln in drei Stereo-Kanälen aufgenommen. Dies ermöglicht es virtuell die Sauer-Orgel im Raum und am Spieltisch stufenlos zu erleben.

Die Sauer-Orgel im Musikunterricht!

Die virtuelle Rekonstruktion der Sauer-Orgel macht es nun jedem ermöglicht, die Schulorgel zu Hause am Hauptwerk-Spieltisch oder am Keyboard zu spielen. Damit wird die Sauer-Orgel auch für den digitalen Unterricht ohne Zugang zur Aula jederzeit nutzbar.



Der digitale Spieltisch
(Christoph Schmitz | www.hauptwerk-organ.com)



Darüber hinaus dokumentiert die Digitalisierung der Sauer-Orgel den jetzigen Zustand jeder einzelnen Pfeife, was auch für die Rekonstruktion des originalen Zustandes der Orgel von großem Nutzen sein wird.



Der Registerscreen
(Christoph Schmitz | www.hauptwerk-organ.com)


Die Aufnahmetechnik in drei Stereo-Kanälen

Die Sauer-Orgel wurde mit drei Stereo-Kanälen mit 32bit 196kHz gesampled.
  • 4 Meter vom Spieltisch in XY-Konfiguration mit Rode NT5 Niere
  • 4 Meter vom Spieltisch in ORTFKonfiguration mit Rode NT5 Niere
  • 8 Meter vom Spieltisch in AB-Konfiguration mit Rode NT5 omni
  • unter Verwendung eines MIDAS 32R